«Wenn ihr nicht so schlecht über euren Beruf sprechen würdet, hättet ihr auch mehr Leute.» Diesen Satz höre ich so oder so ähnlich immer wieder. Mit Vorliebe in Diskussionsrunden und sehr häufig von Politiker*innen oder Arbeitgeber*innen. Dieser Satz macht so viel mit mir.
Dieser Satz lässt mich sprachlos werden. Höre ich doch zwischen den Zeilen: «Wenn du nichts Gutes zu sagen hast, solltest du besser schweigen.
Dieser Satz lässt mich wütend werden, verbirgt er doch auch die versteckte Aufforderung, zu lügen, denn genau das wäre es, wenn ich nicht mehr sagen würde, was ist.
Dieser Satz lässt mich hilflos werden, denn er macht mich für den Fachkräftemangel verantwortlich.
Dieser Satz lässt mich verzweifelt werden, weil ich merke, dass ich immer noch nicht verstanden wurde.
Alles das, macht dieser Satz mit mir. Und genau darum, möchte ich heute all den Vertreter*innen dieses Satzes antworten.
Ich spreche nicht schlecht über meinen Beruf. Dazu habe ich keinen Grund. Es ist der schönste Beruf, den ich mir vorstellen kann. Er ist vielschichtig, spannend, fordert und fördert mich in meinem Wissen, Können, in meinem ganzen Menschsein. Ich möchte nichts anderes sein, als Pflegefachfrau.
Ich spreche darüber, dass ich das vollständige Potential dieses Berufes nicht ausüben kann. Ich spreche darüber, dass die an mich gestellten Aufgaben, so hoch sind, dass ich diese ich in der mir zur Verfügung stehenden Zeit nicht erfüllen kann. Ich spreche darüber, dass der Druck so hoch ist, dass ich manchmal Angst habe, einen Fehler zu machen, der Leben kosten könnte. Ich spreche darüber, wie ich zusehen muss, wie das Licht in engagierten Berufsleuten erlischt und sie das, was sie einmal so geliebt haben, nicht mehr ausüben können. Ich spreche darüber, wie Pflegende sich von Politik und Wirtschaft im Stich gelassen fühlen, da sie ausser schönen Worten wenig bis gar nichts für die Pflege tun. Darüber spreche ich und das werde ich auch weiterhin tun. Mit eurem ««Wenn ihr nicht so schlecht über euren Beruf sprechen würdet, hättet ihr auch mehr Leute», werdet ihr mich nicht zum Schweigen bringen.
Der Fachkräftemangel in der Pflege ist Fakt und was das für die bedeutet, die noch da sind, sollte jeder*/jedem* Einzelnen klar sein. Ich finde, dazu braucht es nicht so viel Empathie. Dass diese mutigen Menschen, die Pflege nicht aufgeben wollen, alle Unterstützung erhalten, die sie benötigen, damit sie weiter machen können, sollte selbstverständlich sein. Stattdessen wird ihnen mit «Wenn ihr nicht so schlecht über euren Beruf sprechen würdet, hättet ihr auch mehr Leute», die Verantwortung zugeschoben. Und wir erliegen tatsächlich immer wieder der Versuchung, diese auch zu übernehmen. Doch damit ist jetzt Schluss! Für dieses Spiel stehe ich ab sofort nicht mehr zur Verfügung!
«Wenn ihr nicht so schlecht über euren Beruf sprechen würdet, hättet ihr auch mehr Leute.»
Ist eine Gleichung, die falsch aufgestellt wurde. Es ist nicht
Gut über den Beruf sprechen = Mehr Leute = Gute Arbeitsbedingungen
Die richtige Gleichung ist
Gute Arbeitsbedingungen = Pflege kann gut über ihren Beruf sprechen = mehr Leute
Nur so werden wir den Fachkräftemangel in der Pflege lindern und irgendwann vielleicht sogar beheben können. Zusammen. Indem wir einander Zuhören, aufeinander zugehen und vor allem TUN!
Patricia Tschannen, Pflegefachfrau HF und eine, die Pflege nicht aufgibt.
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Andrea Tschopp (Mittwoch, 19 April 2023 11:45)
Herzlichen Glückwunsch und Danke für Ihre Ausführungen! Compashion Fatigue wird nämlich auch mit „positiv bleiben“ nicht verhindert, geschweige denn besser.
Wir wollen und können Verantwortung übernehmen und wollen und können zu einer gesunden Gesundheitsversorgung beitragen - wenn man uns lässt und uns die adäquaten Rahmenbedingungen schafft!
Nicole (Mittwoch, 19 April 2023 15:36)
Mega gut erklärt, vielen Dank! Merke ich mir gerne für die nächste Diskussion dieser Art.
Johanna (Mittwoch, 19 April 2023 15:56)
Super Erklärung, herzlichen Dank liebe Patricia!!
Diejenigen Leute in der Politik, die das endlich begreifen sollten, sind offenbar "Begriffs -resistent"...
Kuno (Mittwoch, 19 April 2023 19:19)
Klare und treffende Worte für diese nervige Gleichung!
Danke, liebe Patricia!
Heidi (Donnerstag, 20 April 2023 16:16)
Danke für Deine Antwort.
Diese Gleichung habe ich mir gleich gescreenshottet.
Danke, dass Du Dich nicht stillkriegen lässt.
Viel Schwung für Dich, alle Pflegenden und ich hab gleich ein wenig Schwung mitgenommen.
Kim Fabienne (Donnerstag, 20 April 2023 23:26)
Du sprichst so vielen aus der Seele❤️
Peter Schnyder (Donnerstag, 27 April 2023 02:24)
Grüezi Patrizia! Chapeau und Bravo, Du bringst es genau auf den Punkt. Viel Kraft und weiter so!
Ich arbeite seit jeher in der Finanzbranche, in welcher ich mich nie richtig wohl gefühlt habe. Da ich extrem gerne, etwas für oder mit Menschen machen würde, habe ich mir immer mal wieder über den Pflegeberuf Gedanken gemacht. Aber eben, die fehlende Anerkennung, die schlechte Entlöhnung und ein paar Sachen mehr, haben mir die Motivation genommen. Zudem ist die Ausbildung, zumindest hier in der Sxhweiz, etwas mühsam. LG Peter
Markus Imobersteg (Mittwoch, 03 Mai 2023 12:37)
Es gilt sicher beides. Wenn Sie ständig unnötigen Negativismus betreiben, machen Sie Ihren wichtigen Beruf ganz bestimmt nicht attraktiver.
Aber natürlich machen Sie sich es lieber einfach und nehmen gerne eine Opferhaltung ein. Lösungen liefern sollen immer nur die anderen. Sie haben ja bereits mehrfach bewiesen, dass Sie sich immer wieder gerne in Ihrem wohligen Opferbad suhlen. Dann noch ein bisschen Heiligenschein der Pflegerin aufsetzen und etwas hysterische Empörung betreiben.
Es ist schwer vorstellbar, dass Sie mit ihrer unbeholfenen Lobbyarbeit der Pflege einen Mehrwert bringen. Sie würden in den Stunden, in denen Sie sich mühsam und wenig erfolgreich mit Schreiben abmühen, lieber eine Patientin oder einen Patientin betreuen, die Sie wirklich braucht.
Patricia Tschannen (Mittwoch, 03 Mai 2023 13:03)
Werter Herr Imobersteg,
es steht Ihnen frei, meinen Blog zu lesen oder nicht. Ob ich ihn schreibe oder nicht und wie ich meine FREIZEIT verbringe ist meine Entscheidung. Ob das was ich tue etwas bewirkt oder nicht, können weder Sie noch ich beurteilen.
Mit freundlichen Grüssen
Patricia Tschannen.
Andrea (Donnerstag, 11 Mai 2023 13:45)
Und wenn Herr Imobersteg etwas gebildet wäre, so wüsste er auch das der Begriff Hysterie komplett veraltet und respektlos ist!