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Ich bin keine Pflegerin

 

ICH BIN KEINE PFLEGERIN

Der Blick sagt es, der Bund sagt es, die NZZ sagt es, das Fernsehen, jüngst die Tagesschau sagt es, das Radio sagt es, die Parteien sagen es. Ich bin Pflegerin. So wird mein Beruf jedenfalls betitelt, wenn es in irgendwelchen Berichten um meinen Berufsstand geht. Dabei ist es auch völlig egal wo ich arbeite. Ob Langzeiteinrichtung, Akutspital, Notfall oder Intensivstation, es wird von Pfleger*in gesprochen. Niemand widerspricht, also muss es wahr sein: Ich bin Pflegerin.

Und jetzt kommt es: Die Bezeichnung ist in ca. 99% der Fälle nicht nur falsch, sie ist eine Degradierung. Pflegerin wurden bis 2011 die Absolvent*innen der Ausbildung Krankenpflegerin FA SRK genannt. Die Ausbildung dauerte 2 Jahre, hatte ihren Schwerpunkt in pflegerischen Verrichtungen. Als die Pflegeausbildungen vom Schweizerischen Roten Kreuz zum Bundesamt für Bildung wechselten wurde diese Ausbildung zusammen mit der Krankenschwester AKP abgeschafft.

Das alles geschah, bevor ich meine Ausbildung begonnen habe. Auf meinem Diplom steht tatsächlich der Titel: «Pflegefachfrau» Und dieses Ding ist 20 Jahre alt! Seit 20 Jahren ist die Pflegerin also ein «Auslaufmodell» und seit 10 Jahren gibt es die Ausbildung nicht mehr. Dennoch werde ich in der Öffentlichkeit ständig so genannt. Mir werden notabene 2 Jahre Ausbildung abgesprochen, inklusive meine Tertiärstufe nicht anerkannt! Bei Pflegefachpersonen mit FA Intensivpflege/Notfallpflege werden zusätzlich noch 2 Jahre Nachdiplomstudium unterschlagen.

Mich ärgert das. So sehr, dass ich die Artikel jeweils gar nicht mehr lesen und die Beiträge auch nicht mehr schauen mag. Und das obwohl sie häufig sehr gut sind. Dennoch, liebe Journaslist*innen, liebe Politiker*innen, warum ist es so schwierig die richtige Berufsbezeichnung zu benutzen? Grundausbildung = Fachperson Gesundheit, Tertiärstufe = Pflegefachperson HF/FH. So verwirrlich ist das doch nicht. Bei allen Professoren, Doktoren etc. könnt ihr es doch auch?

Gerade in der Pandemie, in der wir so sehr im Fokus standen und jetzt beim Fachkräftemangel, der meine Berufsgruppe betrifft, habe ich eigentlich erwartet, dass ihr das jetzt auf der Reihe habt. Stattdessen, lese ich überall nur Pfleger, Pflegerin etc. Noch mal für alle zum Mitschreiben: ICH BIN KEINE PFLEGERIN!!!

Ich sollte mich nicht so aufregen meint ihr? Das sei nicht gut für meinen Teint und gibt Falten? Und überhaupt ich tue empfindlich? Ja, ich bin empfindlich, wenn es um meinen Berufsstand geht. Ich habe nicht insgesamt vier Jahre gelernt, schriftliche und mündliche Prüfungen absolviert, zwei Diplomarbeiten geschrieben und zwei praktische Examen gemacht, um dann in der Öffentlichkeit ständig mit einer Berufsbezeichnung bedacht zu werden, die es 1. nicht mehr gibt und 2. mir einen Grossteil meiner Kompetenz abspricht.

Ach, es könnte ja sein, dass eine Pflegerin im Bericht gemeint sei? Das wären dann die 1% , der Fälle bei denen die Anrede stimmt. Also recht unwahrscheinlich. Oder anders gesagt: Auch ein blindes Huhn findet ab und zu mal ein Korn. Zudem sind es die Pflegefachpersonen, die im Moment der limitierende Faktor sind.

 Es seien halt alle in der Pflege tätigen gemeint? Dafür ist der Begriff Pflegende, der bessere Begriff, da dieser keine frühere Berufsbezeichnung ist.

Pflegefachperson ist so ein langes Wort? Professor der Infektiologie ist eindeutig länger, wurde aber noch nie mit einfach nur Doktor abgekürzt.

Und überhaupt, wie soll man uns den rufen? «Schwester», ist ja auch falsch. Stellt euch vor, wir alle haben auch einen Nachnamen. Und genauso wie wir euch mit Herr oder Frau Sowieso, anreden, könnt ihr das auch bei uns. Es macht auch nichts, wenn ihr euch die vielen Namen nicht merken könnt, ich sage den meinen gerne noch einmal.

Ich weiss, einige Kolleg*innen werden jetzt sagen, ja es ist doch nicht so schlimm, ist ja nur ein Titel. Nein, meine Lieben, es ist unsere Kompetenz, unser Wissen, unsere Leistung, welche so ständig geschmälert wird. Da wird peinlichst genau darauf geachtet, möglichst Gendergerecht zu sprechen, aber bei unserer Berufsbezeichnung (der nach wie vor als Frauenberuf gilt), ist mit der Gleichberechtigung plötzlich Schluss? Gendergerechte Sprache ist eben deshalb so wichtig, weil wer nicht benannt wird, eben auch nicht vorkommt. Da gilt auch für uns Pflegefachpersonen.

Ich verrate euch etwas, solange wir das nicht aktiv korrigieren, wird es gemacht werden und solange es gemacht wird, ist es für viele die Wahrheit. Während der Pandemie haben wir eindrücklich erfahren, was das bedeutet: Wir werden nicht ernst genommen, kaum einer der Damen und Herren Politiker hat eine Ahnung, was wir machen und was wir können. Bei wichtigen Entscheidungen werden wir aussen vor gelassen. Warum? Weil wir ja nur die Pfleger*innen sind!

Wollen wir das ändern, müssen wir als erstes unsere Einstellung ändern. Unsere Berufsbezeichnung ist wichtig und hat, wie bei allen anderen auch korrekt zu sein. Zumindest das sollten wir uns selbst Wert sein. Darum sage ich jetzt und in Zukunft in aller Deutlichkeit: ICH BIN KEINE PFLEGERIN!

ICH BIN PFLEGEFACHFRAU.

Patricia Tschannen, Pflegefachfrau HF

 

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Kommentare: 17
  • #1

    Andreas (Donnerstag, 20 Oktober 2022 12:12)

    Wunderbar und engagiert geschrieben. Ich hoffe sehr, dass das ankommen wird in der öffentlichen Wahrnehmung.

  • #2

    Markus Imobersteg (Donnerstag, 20 Oktober 2022 14:18)

    Ach diese hysterische Empörungskultur. Nehmen Sie sich und ihre Berufsbezeichnung nicht allzu wichtig. Anstatt pubtertär-narzisstische Nabelschau zu betreiben sollten Sie in Betracht ziehen, in Demut und Dankbarkeit zu leben.

  • #3

    Patrick Baumann (Donnerstag, 20 Oktober 2022)

    Ach Herr Imobersteg,

    Respekt gegenüber einer systemrelevanten Berufsgruppe lernt man vielleicht erst dann, wenn man auf diese angewiesen ist.

  • #4

    Yael Sandlar (Donnerstag, 20 Oktober 2022 16:19)

    @Markus Imobersteg: Im Gegenteil! Es ist allerhöchste Zeit, dass Politik und Öffentlichkeit die Anliegen der Pflege(fach)personen endlich ernst nehmen. Dass die Gesundheitsversorgung in der Schweiz gerade auf der Kippe steht, liegt nämlich genau am Notstand an Pflegefachpersonen. Der mit den demütig-dankbaren Schwestern war vorvorgestern!

  • #5

    Patricia Tschannen (Donnerstag, 20 Oktober 2022 18:38)

    Werter Her Imobersteg,
    ich werde weder Sie noch sonst irgendjemand um Erlaubnis für meine Gefühle oder meine Lebensführung bitten.
    Freundliche Grüsse
    Patricia Tschannen

  • #6

    Brigitte Kramer (Donnerstag, 20 Oktober 2022 22:08)

    Sehr guter Beitrag und sehr gut geschrieben ich sehe das genauso. Das alles hat nichts mit Hysterie oder Empörung zu tun sondern es geht um Respekt.

  • #7

    Esther Gisler Fischer (Donnerstag, 20 Oktober 2022 23:16)

    Wunderbar auf den Punkt gebracht liebe Frau Tschannen und so wichtig, dieses Ihr Einstehen für die korrekte Bezeichnung Ihres Berufstandes!

  • #8

    Ina Praetorius (Freitag, 21 Oktober 2022 06:44)

    Ich sehe diesen wichtigen Text als Baustein einer breiten Bewegung, die unsere Gesellschaft als Ganze auf eine Care-zentrierte Ökonomie und Politik zutreibt: weg vom Modell-Menschen des profitorientierten homo oeconomicus hin zu einer Form des Zusammenlebens, die um Bedürfnisse, Bezogenheit und Respekt zentriert ist. Das hört sich jetzt abstrakt und kompliziert an. Diese Sicht des Ganzen ist aber alltagstauglich und ermutigend, weil sie sagt: Es geht hier nicht um das isolierte Gefühl einer vereinzelten "überempfindlichen" Person, sondern um eine starke Bewegung, in der wir uns zuhause fühlen und gegenseitig bestärken können. In diesem Sinne: 1000 Dank für diesen mutigen Text. Weiter so -> #economyiscare https://wirtschaft-ist-care.org

  • #9

    J. Tanner (Freitag, 21 Oktober 2022 08:00)

    Patricia Tschannen spricht mir absolut aus dem Herzen!!
    Es ist höchste Zeit, userem Berufsstand mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen und da gehört als Erstes die korrekte, professionelle Berufsbezeichnung dazu!!
    In jedem anderen Beruf sind Presseleute und Moderator:innen fähig, in ihren Artikeln und Beiträgen die richtigen Berufsbezeichnugen zu nennen, warum geht das für unseren Beruf nicht??

  • #10

    Susanne von Allmen (Freitag, 21 Oktober 2022 08:29)

    Liebe Patricia. Du hast vollkommen recht. Dass Journalisten und Politiker o.ä. das nicht auf die Reihe bekommen ist das Eine aber es geht noch schlimmer! Bei uns im Betrieb sind Alle „nur“ noch mit Pflegefachfrau/mann angeschrieben. Dort wo es meiner Meinung nach noch wichtiger ist, (auch für Angehörige, Patienten/Bewohner und Ärzte) und man auch wissen sollte was tertiär und sekundär bedeutet! Das stört mich massiv!

  • #11

    Deborah (Freitag, 21 Oktober 2022 12:26)

    Danke für den Beitrag, der spricht auch mir aus dem Herzen. Leider sind gewisse Gesundheitspartner (Krankenkasse) immun gegen Rückmeldungen und haben die Bezeichnung KRANKENSCHWESTER immernoch in der Leistungsbezeichnung... Wenigstens von Gesundheitspartner könnte man hier besseres erwarten.

  • #12

    Corinne Mark (Freitag, 21 Oktober 2022 13:32)

    Liebe Patricia,
    du sprichst mir aus dem Herzen und bringst es auf den Punkt. Danke für diesen engagierten Beitrag!

  • #13

    Elisabeth Conte (Freitag, 21 Oktober 2022 19:53)

    Liebe Frau Tschannen,
    Danke für ihren ins Schwarze treffenden Artikel! Er freut mich sehr, denn meinerseits ärgert mich diese chronische Missachtung unserer Kompetenzen welche wir in der anspruchsvollen Pflegearbeit einbringen. Einwenig schmerzlich hat mich an ihrem Artikel berührt, dass sie die Spitex vergessen haben. Auch das passiert leider sehr gerne von Pflegenden, die im Spitalbereich arbeiten. Danke, wenn sie uns nächstes Mal nicht vergessen.

  • #14

    Nadja Lüthi (Samstag, 05 November 2022 10:06)

    Endlich eine Gleichgesinnte! Diese ignorante Hartnäckigkeit von Journalist*innen, Plitiker*innen, usw. macht mich richtig ärgerlich.

  • #15

    Monika Sutter (Donnerstag, 01 Dezember 2022 14:49)

    Du sprichst mir sowas aus dem Herzen. Danke für die Berichtigung.

  • #16

    Wetter Gret (Donnerstag, 01 Dezember 2022 17:09)

    Sicherheit: Vorhandene Studien belegen, wenn wir, dipl. Pflegefachfrauen|männer HFoderFH, fehlen gibt es vermehrte Komplikationen wie; Infektionen, Reoperationen ( verlängerte Hospitalisationen, da könnte auch die Santesuisse aus ökonomischer Sicht hinschauen)ja sogar Todesfälle. Der Abbau hat schon in den 90igern angefangen mit den Beginn der neuen FAGE Ausbildung. Heute wo ich hinschaue hat sich gefährliche Pflege etabliert.

  • #17

    Edith Müller (Samstag, 03 Dezember 2022 12:05)

    Im Grunde der Dinge hast Du vollkommen recht Patrizia. Es macht Sinn mal richtig Postion zu beziehen was die aktuelle Berufsbezeichunung der Pflegefachfrau/Mann betrifft. Nur muss ich sagen, selbst AKP, damals vor vielen Jahren mit viel Stolz "Schwester" genannt zu werden, ist noch nicht alles verblasst aus der, meiner Zeit (Ausbildung 1974-1977 mit permanenter Weiterbildung!)
    Die ganze Entwicklung über die Jahre, Ausbildung und Berufsbezeichnungen war selbst für mich verwirrlich. Das Bild der Krankenschwester sitzt noch tief in den Köpfen und in den Knochen, es wurde sehr geprägt durch die Geschichte...intressant sich damit auch auseinander zu setzen!
    Die Fürsorge, die Zuwendnung, das Aufgehoben sein als Patient, all dies zu empfangen in geschwächtem Zustand, Krankheit, Unfall sind halt schon nicht zu unterschätzende subjektive Dimensionen. Dies zum Verstäntnis der verwirrten Benennungen der Pflegefachleute.
    Nichts desto trotz: Die Bezeichnung :Pflegefachfrau/Mann könnte endlich mal Klarheit bringen,
    Stand heute, gut ausgebildetes Medizinal Personal mit Begabungen auch im Fürsorgethema. Das wünsche ich mir persönlich als Empfängerin im Krankheitsfall.